Songwriterin Ella Ronen im Interview

Ella Ronen credit Alessandra Leimer

„Ich wollte jugendliche Lebensfreude zum Ausdruck bringen.“ Die israelische, in der Schweiz lebende Songwriterin Ella Ronen im Interview mit Sounds & Books

Interview von Ullrich Maurer

Als im Schweizer Exil lebende, israelische Künstlerin mit persischen Roots, Migrationshintergrund und – wie sie sagt – brauner Haut hätte Ella Ronen in Zeiten wie den unsrigen allen Grund gehabt, das auf ihrem letzten Album „Motherland“ bereits aufgegriffene Thema der Identitätsfindung und Positionierung in Form eines wütenden, politischen Protest-Albums weiter zu vertiefen. Nun ist das aber so, dass Ella nicht nur eine Songwriterin und Aktivistin ist, sondern auch eine Philologin, Musik-Lehrerin, Mutter und Poetin – und so wählte sie für ihr nunmehr drittes englischsprachiges Album „The Girl With No Skin“ einen deutlich versöhnlicheren und poetischeren Ansatz, ihre Geschichte in einem lyrisch/mythologischen Kontext musikalisch weiterzuerzählen.

Um ihrem aktuellen Projekt einen auch für sie neuen musikalischen Impuls zu geben, entschloss sich Ella Ronen, ihre neuen Songs erstmals in den

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USA einzuspielen und tat sich zu diesem Zweck mit dem Musiker und Produzenten Sam Cohen zusammen, der sich nicht nur mit seinen eigenen Projekten Apollo Sunshine und Yellowbirds bzw. als Solo-Künstler einen Namen gemacht hat, sondern auch als Produzent für so unterschiedliche Acts wie Norah Jones, Joseph Arthur, Trixie Whitley, Alexandra Savior und nicht zuletzt Kevin Morby, durch dessen Song „No Halo“ Ella überhaupt erst auf Sam Cohen aufmerksam geworden war.

Ella Ronen am Wendepunkt

Ist dieses Album – mehr noch als das letzte Werk „Motherland“ – eine Art musikalisches Selbstporträt, bzw. ein weiteres Kapitel in dieser Hinsicht?

Ella Ronen: Definitiv. Ich denke, dass es hier um einen Wendepunkt in meinem Leben geht. Es war der Zeitpunkt, als ich mich von meinem Partner trennte und mich um meine Kinder kümmerte. Ich war an einem Punkt angelangt, an dem ich bereit war, tiefer in mich und meine Vergangenheit einzutauchen. Ich musste Schichten von Ideen darüber, wer ich eigentlich war lüften. Etwa externe Perspektiven, die ich aber jahrelang verinnerlicht hatte. Ich entledige mich dieser Schichten bis nur noch das bloße Leben übrig ist. Das ist eigentlich immer das Ziel meiner Musik: So ehrlich wie möglich zu sein – auch mir selbst gegenüber. An diesem Punkt war es dann die Unterstützung Sam Cohens die mir ermöglichte, tiefer einzutauchen und auch weiter zu reichen und dabei größere Themen wie Generationen-Traumata in Angriff zu nehmen. Themen, von denen ich bis dahin angenommen hatte, dass ich gar nicht das Recht hätte, diese anzusprechen. 

Wie siehst Du Dich heutzutage als Interpretin und Sängerin? Worum geht es Dir dabei?

Ella: Also ich würde sagen, dass die Geschichte (die ich erzählen möchte) für mich an erster Stelle steht. Mein Job als Interpretin ist es dann, die Geschichte zu vermitteln. Manchmal ist es aber auch so, dass die Musik dabei das geeignetere Mittel ist, die Geschichte zu vermitteln als der Text für sich gesehen. Es ist ja so, dass ich für gewöhnlich aus der Seele heraus schreibe und der Geist dann erst später dazu kommt. Wenn wir Musik anhören, dann empfinden wir diese ja zuerst über den Körper. Die Musik ist dabei eine Art Abkürzung.

Als Performerin ist es also meine Aufgabe, wenn ich singe Dir zu helfen, die Musik zu fühlen, auch wenn Du sie noch nicht verstehst, und Deinem Geist die Möglichkeit zu eröffnen, sich Zeit zu nehmen, zu diesem Verständnis zu gelangen – vielleicht erst nachdem Du schon etwas gefühlt hast. Das ist die Rolle des Gesangs – und natürlich der Arrangements.

Das Erfolgsgeheimnis scheint dabei gewesen zu sein, Ella’s Stimme ganz ohne die heute üblichen Techniken wie Autotune und Harmonizer anzuwenden, unbehandelt, pur und glasklar im Raum stehen zu lassen und diese mit den originellen Arrangements in einem semi-akustischen Setting zu umschmeicheln. Produzent Sam Cohen erreichte das alleine über die Nutzung des Raumklanges durch geschickt platzierte Mikrofone.

Die Intuition als Inspiration

Was hat Dich denn dann auf der musikalischen Ebene als Songwriterin inspiriert?

Ella: Auf der musikalischen Seite hat mich auf der praktischen Ebene inspiriert, dass ich heute besser mit der Gitarre umgehen kann. Das hat mir auf natürliche Weise mehr folk- und rockorientierte Kompositionen ermöglicht – jedenfalls mehr als zuvor. Das mag auch damit zusammenhängen, dass ich mir zu der Zeit viele Indie-Künstlerinnen wie Lucy Dacus, Adrienne Lenker, Phoebe Bridgers oder Mitski angehört habe. Ich denke das half mir die musikalische Welt der Platte zu erschaffen. Jenseits dessen war es das Element der Intuition, das ich zuließ, um mit Sam zusammen das Thema der Scheibe zu finden. Es gibt nämlich bei jedem Album diesen einen Moment, wenn sich Dir das Thema eines Werks offenbart. Auf diese Weise erkennst Du dann, in welche Richtung es geht und was vielleicht noch fehlt. Man fügt dann nur noch Kleinigkeiten hinzu, anstatt neue Songs zu schreiben.

Und wie sieht Ella überhaupt ihre Rolle als Songwriterin? Sie gehört ja nicht zu der Spezies der geradlingen Geschichtenerzähler, sondern verwebt in ihren Texten Bilder, Metaphern, Aphorismen und Erinnerung zu einem lyrisch/poetischen Pastiche, der klare Definitionen sprengt.

Siehst Du Dich eigentlich eher als Poetin, als Musikerin oder als Philosophin – oder spielen solche Überlegungen überhaupt eine Rolle?

Ella: Für mich ist das immer ’sowohl als auch‘ und nicht ‚entweder oder‘. Meine Lieblingsmusiker sind immer alles zusammen: Spirituelle Leitfiguren, Philosophen, Poeten usw. Ich bin der Meinung, dass man Musik niemals auf eine bestimmte Sache eingrenzen sollte. Ich habe eine Abschlussarbeit in Poesie geschrieben und einen Master darin und eine Liebe zur Poesie hat definitiv meine Art zu schreiben beeinflusst. Auch die Art wie ich meine Akkorde wähle kommt von dieser Einstellung her – wenngleich auch unabsichtlich.

Die Musik der Gedichte

Gibt es denn denn einen relevanten Unterschied zwischen Gedichten und Songtexten?

Ella: Ich denke, dass der einzige wirkliche Unterschied für mich der wäre, dass Gedichte ihre Musik schon in sich tragen – und somit nicht zwingend zusätzliche Musik benötigen. Als Kind habe ich mir in der Mall über die ich in dem Song „The Mall“ singe, viele CDs gekauft – und ich hatte damals dieses Ritual, dass ich auf dem Wege nach Haus die CD geöffnet habe und immer zuerst die Texte studiert habe, bevor ich mir überhaupt die Musik angehört habe. Wenn die Texte gut waren, war das immer ein Zeichen für mich, dass das Album gut sein würde und dann brauchte ich gar nicht mehr die Musik zu hören, um das herauszufinden.

Das wurde irgendwann auch zum Prinzip für meine Art Songs zu schreiben: Der Text muss immer schon für sich alleine stehen können. Die Musik kann dann eine Menge ergänzen und hinzufügen oder die Worte auf eine bestimmte Art interpretieren, aber die Texte müssen alleine wirken – und sind in diesem Sinne für mich auch Gedichte.

Na ja – aber kann nicht andererseits auch die Musik ohne Worte funktionieren?

Ella: Ja, das stimmt ebenso. Es ist nur so dass für mich bei der Art wie ich Musik mache und Musik höre, meine Aufmerksamkeit den Texten gilt. Das kann sich natürlich auch irgendwann ändern, aber seit ich ein Kind war funktionieren meine Ohren über die Geschichten. Ich habe halt nun mal diese enge Beziehung zu Worten und als Songwriterin und Hörerin ist das meine größte Leidenschaft. Mir ist aber schon klar, dass das nicht für jedermann gelten kann – und wie wunderbar ist das denn bitteschön, dass das nicht für alle gleich ist?

Ella Ronen und die Mythologie des Song-Schreibens

In der neuen Songsammlung verquickt Ella Ronen persönliche Erinnerungen – wie z.B. die Übergriffe eines Tutors in ihrer Jugend in dem Track „Truth“ oder die wilde Zeit ihrer Jugend, die sie in „The Mall“ schildert mit politisch motivierten Songs wie „Fuck Cute“ oder der Hommage an ihre Herkunft als Nachfahrin persischer Einwanderer in dem Track „Rearview“ und dann wieder poetische Reflexionen über die Sichtbarkeit und Wahrnehmungen in lyrischen Kunststückchen wie „Undercover“ oder eben „The Girl With No Skin“, die Ella erschuf nachdem sie sich in einem Songwriter-Kurs mit der Aufgabe konfrontiert sah, ihre eigene Mythologie zu erfinden.

Mit welcher Einstellung bist Du das neue Album als Songwriterin angegangen?

Ella: Ich hatte lange Zeit diese falsche Idee, dass die Kunst eine Art des Leidens beinhalten müsse, um Bestand haben zu können. Also dass man um Kunst erschaffen zu können, irgend eine Art von Trauma durchmachen müsse. Als ich indes diese Scheibe machte, realisierte ich, dass das falsch ist und ich jetzt mal Kunst aus einem Gefühl der Freude und nicht aus eine Gefühl der Einsamkeit erschaffen wollte. Ich wollte mein jetziges und zukünftiges Selbst gut behandeln und mich nicht immer wieder an traumatische Erlebnisse erinnern, nur um authentisch wirken zu können. Das sollte sich auch auf den Zuhörer übertragen und deutlich machen, dass wir alle in der Lage sind tiefe Freude zu empfinden. Das wollte ich in Songs wie ‚Fuck Cute‘, ‚Fear Of Rising‘ und auch über das Arrangement von ‚The Mall‘ zum Ausdruck bringen. Denn damit wollte ich jugendliche Lebensfreude zum Ausdruck bringen.

Was ist der Haupt-Unterschied zu dem letzten Album „Motherland“, das sich ja mit ähnlichen Überlegungen beschäftigte?

Ella: Ich denke ‚Motherland‘ war für mich aus meiner Sicht deshalb von Bedeutung, weil ich damit zeigen wollte, dass ich ein Album vom Anfang bis zum Ende führen könnte. Ich hatte nämlich in der Vergangenheit verschiedene Erlebnisse mit überwiegend männlichen Produzenten gehabt, die nicht so toll waren. Für mich war es wichtig, ein Album ohne fremde Hilfe machen zu können. Oft genug gibt es in der Dynamik zwischen einer weiblichen Künstlerin und einem männlichen Produzenten einen Dissens.

Für gewöhnlich sitzt die Musikerin auf der Seite und beobachtet den Produzenten, wie er die Aufnahme gestaltet. Außerdem war ‚Motherland‘ ein Abschiedsbrief an mein altes Ich. Denn damals verließ ich mein Mutterland und erschuf so mein eigenes Leben mit meiner eigenen Familie und meiner eigenen Identität. Das hat mir schließlich erlaubt, die Arbeit mit Sam Cohen aus einem anderen Blickwinkel und einer Position der Stärke heraus anzugehen, denn ich wusste ja nun, wie man was machen musste.

Das Album „The Girl With No Skin“ erscheint am 08.03.2024 auf CD, Vinyl und Digital auf dem Label BB*Island. Eine Tour ist zu diesem Zeitpunkt noch in Planung. (Beitragsbild von Allesandra Leimer)

Weitere Informationen sind auf der Homepage der Künstlerin erhältlich.

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